Die Keynote von Marietta Slomka
bei den Österreichische Journalismustage 2018
Guten Abend!
Zunächst darf ich mich für die Einladung bedanken, als deutsche Kollegin hier vor Ihnen zu sprechen. Das ehrt mich sehr und ist keine Selbstverständlichkeit. Wie Sie vermutlich wissen, habe ich vor Kurzem als Mitglied der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis-Jury einen kritischen Brief an Bundeskanzler Kurz mitinitiiert und unterzeichnet, und ich weiß, dass das in Österreich nicht überall gut ankam. Nun auch noch die Einladung, heute Abend vor Ihnen die Keynote zu halten. Insofern treibt mich etwas die Sorge, dass mir in meinem nächsten Skiurlaub die Marille hingeknallt wird mit der Bemerkung: „Sie schon wieder!“
Ich glaube aber, dass es Themen gibt, die weit über nationale Grenzen hinausgehen, die tatsächlich universal sind, und dass es insofern auch völlig egal ist, ob jetzt hier eine Österreicherin oder eine Deutsche steht – oder ein Bolivianer. Mit einer Anekdote aus Bolivien möchte ich gerne beginnen.
„Sie kaufen die Medienunternehmen auf und korrumpieren sie“
Vor einigen Jahren habe ich eine Reportage-Reise durch Südamerika gemacht. Einer meiner Drehorte war Bolivien. Dort traf ich einen Journalisten-Kollegen, der gerade als Chefredakteur einer kleinen Zeitung in La Paz zurückgetreten war. Nicht freiwillig, sondern um seine Kollegen zu schützen. Andernfalls wäre das ganze Blatt eingestellt worden. Der bolivianische Präsident Evo Morales hatte gegen ihn Gerichtsprozesse geführt, war ihn immer wieder hart angegangen. (Man staunt ja manchmal, worauf Regierungschefs oder Vize-Regierungschefs so alles Zeit und Energie verwenden …)
Als ich die zwei bescheidenen Büroräume des Blattes in La Paz besuchte, hatte ich nicht das Gefühl, bei dem mächtigen Gegenspieler einer Regierung zu Gast zu sein. Als ich nach den generellen Arbeitsbedingungen für Journalisten in Bolivien fragte, sagte der frühere Chefredakteur: „Ach, wissen Sie, früher hat uns die Regierung nur attackiert und öffentlich unter Druck gesetzt, inzwischen haben sie eine intelligentere Strategie: Sie kaufen uns. Sie kaufen die Medienunternehmen auf und korrumpieren sie.“
Drei Thesen zu Politik und Journalismus
Für mich steht dieses Beispiel für drei Punkte.
Erstens: Dass die Politik die Unabhängigkeit der Medien angreift, ist keine exklusive Spezialität der politischen Rechten. Das gibt es auch von links oder religiös motiviert oder aus der Abteilung „Ich stehe eigentlich für gar nix außer mir selbst“. Dafür fallen einem ja auch genügend Beispiele ein.
Zweitens: Für die Beschränkung von Medienfreiheit gibt es vielfältige Methoden. Und wenn in der Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von Kritikern der Begriff der „freien Presse“ ins Feld geführt wird als angeblich unabhängigeres Gegenmodell, gebe ich zu bedenken: Auch mit der Staatsferne privat finanzierter Medien kann es sehr schnell sehr gründlich vorbei sein. Eine kommerzielle Struktur ist in keiner Hinsicht Garant für Regierungsunabhängigkeit.
Das führt zum dritten Punkt: Money matters. Schau, woher das Geld kommt. Wer zahlt, bestellt. Oder kann es zumindest.
Punkt 1: Stichwort „links-rechts“
Schauen wir uns zunächst den ersten Punkt – Stichwort „links-rechts“ – etwas näher an. Evo Morales, um beim bolivianischen Beispiel zu bleiben, war ein sozialistischer Freiheitskämpfer. Doch längst kann er selbst nicht mehr von der Macht lassen. Die Einschränkung der Pressefreiheit hat in Bolivien in den letzten vier Jahren, seit meiner Begegnung dort, noch weiter zugenommen.
Andere Beispiele: In keinem anderen Land sitzen derzeit so viele Journalisten im Gefängnis wie in der Türkei. In Russland haben Journalisten die Angewohnheit, auffällig häufig gewaltsam oder auf mysteriöse Weise aus dem Leben zu scheiden. Dass ein Kreml-Kritiker wie Arkadij Babtschenko letzte Woche in Kiew auf schräge Weise von den Toten wiederauferstand, ändert diese Beobachtung nicht. Wenige Wochen zuvor fiel Maksim Borodin in seiner Moskauer Wohnung aus dem Fenster – und er stand nicht wieder auf. Es mag sein, dass Journalisten statistisch gesehen überdurchschnittlich häufig an Leberzirrhose, Lungenkarzinom, Herzinfarkt oder gebrochenem Herzen sterben. Fenstersturz ist hingegen eher selten.
Aber auch in der „Wertegemeinschaft Europäische Union“ kann es einem passieren, dass man als Journalistin in seinem Auto in die Luft gesprengt wird. Beispiel Malta. Oder im EU-Mitgliedsland Slowakei in seinem eigenen Haus hingerichtet wird. Ideologische Kämpfe mit Rechts-links-Schema lassen sich dahinter schwerlich erkennen. Ich sehe Mafiosi und Regierungen unter Korruptionsverdacht und tote Journalisten, und darauf kann man sich seinen Reim machen.
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„Offenkundig ist eine per Wahl erworbene Mehrheit aber noch kein rechtsstaatliches Gütesiegel und keine Garantie für die Wahrung demokratischer Grundrechte wie Medienfreiheit.“
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Und dabei reden wir nicht über absolutistische Monarchien oder andere klassische Diktaturen, sondern über Länder, in denen die Regierenden mit Fug und Recht von sich sagen können: Wir wurden demokratisch gewählt, hinter uns stehen Millionen Bürger. Offenkundig ist eine per Wahl erworbene Mehrheit aber noch kein rechtsstaatliches Gütesiegel und keine Garantie für die Wahrung demokratischer Grundrechte wie Medienfreiheit.
Insgesamt hat sich die Lage der Pressefreiheit in den letzten Jahren nirgendwo so stark verschlechtert wie in Europa. Dieser Befund von Reporter ohne Grenzen ist umso bitterer, wenn man bedenkt, dass das EU-Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen erheblichen Teil seiner Attraktivität aus seinem Freiheitsmodell bezieht. Freiheit, die auch Sicherheit bedeutet: die Sicherheit, dass man als Regierungskritiker keine Sanktionen zu befürchten hat – und das gilt nicht nur für Journalisten.
Es geht hier insofern um sehr viel mehr. Es geht um die Grundfrage, ob diejenigen, die Macht erworben haben, bereit sind, Machtbeschränkungen und Machtkontrolle zu akzeptieren. Die Verfassungsväter der Bundesrepublik Deutschland waren so traumatisiert von der Erkenntnis, dass sich Mehrheiten sogar für totalitäre Systeme entscheiden können, dass sie diesen Mehrheiten Grenzen ins Grundgesetz schrieben. Nun beobachten wir, wie versucht wird, dieses Prinzip der Gewaltenteilung, dessen unlöslicher Teil freie Medien sind, zugunsten von Regierungen zu verschieben. In den USA, seinerzeit neben Großbritannien unser Vorbildland, lässt sich derzeit ja beobachten, wie aktuell solche Checks and Balances werden können.
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„Machtbegrenzung ist natürlich lästig…“
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Machtbegrenzung ist natürlich lästig. Es hindert einen auf vielfältige Weise daran, „durchzuregieren“, obwohl man so tolle Ideen dafür hat. Auch Kritik ist lästig. Ich kenne keinen Politiker, der Journalisten angenehm findet – jedenfalls nicht solche, die er oder sie nicht zu den Seinen rechnet oder auf deren Karrieren er Einfluss nehmen kann. Geschimpfe über Journalisten gibt es immer. Und welcher Politiker, bitte, sagt: „Danke, Frau Slomka, für Ihre Fragen. Jetzt ist auch mir noch mal klarer geworden, wo die Problempunkte unseres Reformkonzepts liegen.“ Natürlich nicht. Eine Inquisition ist das allerdings nicht. Die Ressourcenverteilung ist bei Interviews ohnehin asymmetrisch. Politiker haben nicht nur den größeren Wortanteil, sie haben auch Stäbe von Fachleuten, die sie briefen, Spindoktoren und eine organisierte Anhängerschaft. Der fragende Journalist ist da vergleichsweise einsam unterwegs. Deshalb lehne ich auch den Begriff „grillen“ in diesem Zusammenhang ab: Wir werfen kein wehrloses, totes Fleisch ins Feuer, sondern haben es mit höchst lebendigen und wehrhaften Profis zu tun.
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„Der entscheidende Punkt ist: Ertragen Politiker Kritik, gegebenenfalls auch ungerechte, weil sie es staatsphilosophisch für richtig halten, dass es freie Medien gibt?“
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Der entscheidende Punkt ist: Ertragen Politiker Kritik, gegebenenfalls auch ungerechte, weil sie es staatsphilosophisch für richtig halten, dass es freie Medien gibt? Sind sie bereit, sich auf Diskurs einzulassen, weil sie sich in einem politischen Wettbewerb sehen und überzeugen wollen? Interviews sind ja keine Einbahnstraße. Dass Politiker in Österreich und Deutschland bislang mehrheitlich dazu bereit sind, ist Teil einer Diskussionskultur, auf die wir auch stolz sein können. Und mit „wir“ meine ich die gesamte Gesellschaft. Übrigens gibt es meiner Erfahrung nach auch genügend Politiker, die das genauso sehen, denen ein Schlagabtausch mit kritischen Journalisten Spaß macht.
Diejenigen, die Machtbegrenzungen hingegen grundsätzlich nicht ertragen wollen, ergreifen erfahrungsgemäß die immer gleichen Maßnahmen. Das ist fast ein historischer Evergreen: Wenn du ein autokratisches Regime willst oder eine gelenkte Demokratie, dann musst du vor allem die Medien in den Griff bekommen. Am besten noch bevor man sich den anderen Institutionen der Gewaltenteilung zuwendet: den Gerichten, Geheimdiensten, Parlamenten und so weiter.
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„Die Pressefreiheit ist der Seismograf für den Freiheitsgrad einer Gesellschaft.“
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Die Medien sind aber immer wieder die Ersten, denen der Wind der neuen Zeit spürbar um die Nase weht. Im positiven wie im negativen Sinne. „Plötzlich durften wir alles sagen und schreiben“ gilt genauso wie: „Schrittweise spürten wir: Das schreibst oder sendest du besser nicht. Sei vorsichtig!“ Die Pressefreiheit ist der untrüglichste aller Seismografen für den Freiheitsgrad und die Atmosphäre in einer Gesellschaft insgesamt. Wenn du wissen willst, wie es tatsächlich um eine Gesellschaft steht, und nicht nur, was auf dem Papier steht – schau dir die Journalisten an. Fühlen sie sich frei? Oder stehen sie unter Druck? Müssen sie gar Angst haben vor Politikern oder deren aufgehetzten Anhängern?
Man kann da übrigens gern auch mal den Gegentest machen: Hat irgendjemand schon mal als politischer Flüchtling ein Land verlassen mit der Begründung, dass es dort zu viel Medienfreiheit gibt und zu viel Kritik an Regierenden?
Punkt 2: Die vielfältigen Formen der Beschränkung der Pressefreiheit
Man muss sich die Beschränkungen von Medienfreiheit natürlich nicht vorstellen wie im Geschichtsbuch: Machtergreifung und brutale Gleichschaltung. Es geht ja viel, viel subtiler. Damit sind wir beim zweiten Punkt: den vielfältigen Formen, Pressefreiheit zu beschränken. Ich könnte auch sagen: „Die Medien ein bisschen kaputt machen“ – gerade so, dass es nicht so richtig schlimm auffällt beziehungsweise von Teilen der Bevölkerung sogar goutiert wird.
Variante 1: Die Pauschalisierung von Medien
Eine beliebte Variante besteht darin, Medien zu diskreditieren, indem man sie als monolithischen Block darstellt: „stecken alle unter einer Decke“, „sind alle einer Meinung“, „Systemmedien“. Das an sich ist schon eine behauptete Zumutung. Ein Beispiel auf Deutschland bezogen: Die Kollegen der einst aus der grünen Bürgerbewegung heraus gegründeten Zeitung TAZ fühlen sich den Kollegen der Springer-Publikation WELT politisch ganz sicher nicht nahe. Was beide Zeitungen nicht daran hinderte, sich gemeinsam um das Schicksal des in der Türkei inhaftierten Kollegen Deniz Yücel zu kümmern, weil es da um das Grundrecht der Pressefreiheit ging. Stecken sie deshalb also unter einer Decke?
Der Vorwurf „sind alle gleich“ bezieht sich ja aber auch auf all jene Journalisten, die parteipolitisch gar nicht verortet sind – es nicht sein wollen – und in ihren Artikeln oder Sendungen besonders sorgfältig unterschiedliche Standpunkte abbilden sollen, wie es auch unser Auftrag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist. Wir sind nicht „die Öffentlich-Rechtlichen“. Wir sind viele. Und keine politische Gesinnungseinheit. Für meine Redaktion kann ich sagen: Wir streiten intern verdammt viel, lustvoll und intensiv, und ringen miteinander um Einschätzungen und Inhalte. Und aus guten Gründen soll der freie Rundfunk auch nicht von einer Partei oder gar der Regierung kontrolliert werden, sondern es sitzen Vertreter unterschiedlicher Parteien neben anderen gesellschaftlicher Gruppen in den sogenannten Gremien.
Variante 2: Es werden Zweifel über die Berichterstattung gesät
Eine weitere Methode neben der Pauschalisierung: grundsätzliche Zweifel säen. Nicht Zweifel im Sinne von „man muss nicht alles glauben, was im Fernsehen gesagt oder in der Zeitung geschrieben wird“. Natürlich nicht! Wir wollen kritische Zuschauer und Leser, die hinterfragen und auf Fehler hinweisen, die wir dann bitte auch zugeben. Nein, mit „Zweifel säen“ meine ich generelle Zweifel am journalistischen Auftrag. Generelle Zweifel an der Unabhängigkeit von Journalismus in einem Land. Wenn man nur oft genug „Propagandasender!“ oder „Lügenpresse!“ schreit oder „You are fake news!“, bleibt was hängen. Es geht sogar in den allgemeinen Sprachgebrauch über. So funktioniert politisches Framing.
Dabei geht es gar nicht darum, bei einzelnen Themen eine bestimmte Wahrheit durchzusetzen und zu belegen, etwa wer für den Abschuss eines Flugzeuges verantwortlich ist. Nein, das mit den Belegen oder Gegenbelegen kann man sich durchaus sparen. Es genügt der Propagandavorwurf, der wie ein Gift einträufelt. Staatlich organisiert, ist das jenes Phänomen, das mittlerweile unter dem Begriff „hybride Kriegsführung“ firmiert.
Unsere Redaktion begegnete dem etwa mit Beginn des Ukraine-Konflikts, mit den Vorgängen auf der Krim. Wir spürten, das ist neu und speziell, was wir da über soziale Medien erleben. Wir konnten das anfangs aber noch nicht so recht einordnen. Inzwischen wissen wir alle darüber sehr viel mehr. Was wir damals erlebten, stand in keinem Verhältnis zu früheren ausländischen Konflikten. Russische Panzer im Kaukasus? Konflikt mit Georgien? Mäßiges Interesse der deutschen Bevölkerung. Überschaubar die Zahl der Kommentare zur Berichterstattung. Doch nun war plötzlich eine außenpolitische Aktion der Republik Russland scheinbar in aller Munde und immer wieder verbunden mit dem Tenor „Westmedien verbreiten systematisch Lügen, sind notorisch russlandfeindlich und von ihren Regierungen gesteuert“. Das war speziell. Natürlich unterliefen uns in der Berichterstattung auch Fehler. Etwa wenn von Kollegen, die mit schusssicherer Weste auf Ü-Wagen saßen und unter Zeitdruck Berichte fertigten, Uniformen falsch zugeordnet wurden. Das war dann ein willkommener Beleg dafür, dass „das ZDF bewusst und systematisch die Berichterstattung verfälsche“.
Variante 3: Das Neutralitätsgebot als Kampfbegriff
Nun sind Kriege natürlich immer besondere Berichtsgebiete, in denen Journalisten seit jeher und von allen Seiten instrumentalisiert werden. Pauschalisierungen und behauptete Parteilichkeit begegnen uns aber längst auch bei innenpolitischen Diskussionen, fernab kriegerischer Schlachtfelder. Damit sind wir bei einer weiteren Variante, Journalisten ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen. Ich möchte das überschreiben mit dem Titel: Das Neutralitätsgebot als Kampfbegriff.
Auch dazu eine persönliche Anekdote: Ich bekam vor einigen Monaten einen Brief von einem Zuschauer, der sich selbst als Journalist bezeichnet, im Laufe seiner Karriere eine Zeit lang bei einer Zeitung gearbeitet hatte, diverse Bücher publiziert hat und Seminare für Journalisten anbietet. In dem Schreiben beklagte er sich bitterlich über den generellen „Linksdrall der Medien“ – Kernthese eines seiner Bücher –, und er klagte speziell über meine angeblich fehlende Neutralität. Sein Aufhänger war ein Interview mit dem FDP-Chef Christian Lindner am Tag nach dessen Abbruch der sogenannten „Jamaika-Verhandlungen“. Das Schreiben kulminierte in dem Satz: „Warum haben Sie Herrn Lindner nicht zu seiner mutigen Entscheidung gratuliert?“ Das sind so Momente, in denen ich tief Luft holen muss, um das zusammenzubringen: Journalist, Neutralität, Politikern gratulieren.
Derzeit wird vor allem öffentlich-rechtlichen Journalisten in Deutschland wie Österreich gerne vorgehalten, sie seien mehrheitlich links. Nun, ich erinnere mich lebhaft, wie mir ein früherer SPD-Vorsitzender mal vorwarf, es sei ja „bekannt, wie ich mit SPD-Politikern umgehen würde“, dass ich „vor allem Vertretern seiner Partei besonders gerne das Wort im Munde umdrehe“. Ich erinnere mich auch an einen grünen Politiker, der in einem Interview mit mir fast hyperventilierte vor Ärger. Da ging es um den Libyen-Konflikt und die Frage, ob Deutschland sich militärisch beteiligen sollte oder nicht. Er fand ja, ich konfrontierte ihn mit Gegenargumenten und musste mir fast vorkommen wie eine Diktatorenverteidigerin oder Menschenrechtsverächterin, so empört war Daniel Cohn-Bendit. Kurz darauf interviewte ich den damaligen deutschen Außenminister Guido Westerwelle, FDP, zum gleichen Thema. Da war ich es dann, die sehr nachdrücklich fragte, warum sich Deutschland nicht an der Befreiung von Diktator Gaddafi beteiligt habe.
Warum wird man trotz solch einer nachweislich nicht einseitigen „Interview-Biografie“ immer wieder verortet? Antwort: Weil es denjenigen, die das tun, gerade in den Kram passt. Weil es ihm oder ihr taktisch nutzt. Aber auch, weil man Kritik an sich selbst immer stärker wahrnimmt als die Kritik, die an anderen formuliert wird. Oder weil man sich als Politiker hinter der eigenen parteipolitischen Brille tatsächlich nicht vorstellen kann, dass es Menschen gibt, die politisch hochinteressiert sind und trotzdem mit keiner Partei verbunden.
Der Aufruf, doch bitte „neutraler“ zu sein oder „objektiv“, kommt auffällig häufig von jenen, die selbst sehr starke Meinungen vertreten, glühende Parteigänger sind und alles, was nicht ihrer Position entspricht, als „nicht neutral“ empfinden. „Neutral“ ist das neue alte „Entweder ihr seid für uns oder gegen uns“. Dass sich über einzelne Artikel oder TV-Berichte hinweg in einer freien Mediengesellschaft ein differenziertes Gesamtbild ergibt, bleibt dabei unbeachtet. „Neutral“ wird zunehmend zu einem Kampfbegriff. So wie auch die angebliche Unterdrückung von Meinungen besonders nachdrücklich von jenen behauptet wird, die im selben Moment ihre unterdrückte Meinung sehr öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck bringen. In einer freien Gesellschaft, in der keine Stasi vor der Tür steht, weil der Nachbar erzählt hat, dass man dies oder jenes sagte, kann man mit Büchern, deren Hauptthema darin besteht, Zensur zu beklagen, auf Topplätzen von Bestsellerlisten landen.
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„Es sind nicht die Journalisten, die die Seite wechseln. Sie bleiben dort stehen, wo sie auch vorher standen: auf der Seite der kritischen Beobachter.“
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Der Vorwurf, die Medien seien „nicht neutral genug“, ist natürlich nicht neu. Schon Willy Brandt nannte den Spiegel „ein Scheißblatt“. Als ich als junge Journalistin in Bonn anfing, regierte in Deutschland noch der ewige Helmut Kohl. Dann kam Schröder. Danach Merkel. Die gibt es jetzt auch wieder recht lang. Ich habe 1998 beobachtet, wie enttäuscht manche in der neuen rot-grünen Regierung waren, als sie feststellten, dass viele der Journalisten, die sie zuvor als Sympathisanten empfunden hatten, plötzlich scharf auf Rot-Grün schossen, kaum dass die Protagonisten vereidigt waren. Nun, diese Enttäuschung war Resultat eines fundamentalen Missverständnisses. In den ewig langen Jahren der bundespolitischen Opposition hatte sich bei rot-grünen Politikern in Bonn wohl der Eindruck eingeschlichen, man säße mit vielen Journalisten in einem Boot. Den Eindruck hatte auch Helmut Kohl.
Journalisten beobachten nun mal besonders intensiv diejenigen, die Macht haben, die Regierungsentscheidungen treffen und verantworten müssen. Wechselt die Regierung, wechselt das Spielfeld. Es sind aber nicht die Journalisten, die die Seiten wechseln, sondern sie bleiben dort stehen, wo sie auch vorher standen: auf der Seite der kritischen Beobachter. So jedenfalls verstehe ich Journalismus. Führe ich Interviews, setze ich jeweils den Hut der Widersprechenden auf. Aus Prinzip. Nicht aus eigener persönlicher Haltung heraus. Fragen sind keine Meinungsäußerungen. Das wird gelegentlich missverstanden. Manche wollen es auch missverstehen.
Immer öfter hört man auch die Forderung, Journalismus solle objektiver sein. Der Begriff wird ja auch von Journalisten benutzt, aber wir wissen doch auch, wie komplex er ist. Wer keinen ideologischen Meinungsjournalismus betreiben will, hat natürlich den Anspruch, möglichst unvoreingenommen zu berichten. Objektiv im Sinne von ausgewogen, wahrhaftig. Quellen nennen. Fakten oder Argumente nicht unterschlagen, weil sie nicht ins eigene Weltbild passen. Den Konjunktiv benutzen, wenn man unsicher ist. „Objektiv“ kann dabei aber ja nicht wie eine naturwissenschaftliche Erkenntnis zu verstehen sein. Kein einzelner Mensch kann völlig objektiv sein, auch kein Redakteur. Keine Redaktion kann bei der Auswahl der Themen, die sie abends in einer Sendung präsentiert, so objektiv sein wie ein Mathematiker, der Prozente berechnet. Sonst müsste ein Zugunglück in China – rein objektiv aus einer globalen Vogelperspektive betrachtet – genauso viel Raum bekommen wie ein Zugunglück in Tirol. Offenkundig ist das nicht so. Journalistisch lässt sich das natürlich leicht und gut begründen. Der liebe Herrgott hatte die verunglückten Chinesen aber genauso lieb wie die Österreicher …
Ja, wir haben journalistische Kriterien, die bei der Auswahl von Nachrichten helfen, und professionelle Techniken, die helfen, den Wahrheitsgehalt von Aussagen und Bildern zu überprüfen. Trotzdem kann man sich Wahrheiten oft nur annähern. Das allein ist eine erhebliche journalistische Aufgabe, die sehr viel Arbeit macht und einiges an Ressourcen fordert. Ich glaube, dass wir das unserem Publikum öfter erklären und deutlich machen sollten.
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Und natürlich kann jeder Beobachter irren, können Journalisten irren.
Deshalb sind sie aber noch lange keine Propagandisten.***
Den Begriff „objektiv“ insofern zu relativieren heißt aber ja nicht, ihn für nichtig zu erklären. Denn dann landeten wir in einer Welt, in der jeder seine eigenen alternativen Fakten als Wahrheiten präsentieren kann und am Ende niemandem mehr geglaubt wird. Natürlich lassen sich viele Fakten unterschiedlich interpretieren. Man kann 5000 Demonstranten für viel oder für wenig halten, aber auf die Zahl „ungefähr 5000“ sollte man sich doch bitte einigen können. Schon das ist nicht immer leicht. Und natürlich kann jeder Beobachter irren, können Journalisten irren. Deshalb sind sie aber noch lange keine Propagandisten.
Abgesehen von der grundsätzlichen Problematik des Begriffs „objektiv“ wissen wir alle hier im Raum außerdem auch, wie vielfältig journalistische Formate sind: die Reportage, die Investigation, das Feature, das Politfeuilleton, das Porträt und so weiter und so fort. Journalismus besteht nun wahrlich nicht nur aus nüchternen Agenturmeldungen oder Kommentaren, an die dann womöglich noch Parteischilder zu heften sind: „Hier spricht Ihr SPÖ-Mann.“ Oder Ihre FPÖ-Frau. Dass für uns Journalisten die Vielfalt journalistischer Formate offensichtlich ist und wie wir arbeiten, heißt aber augenscheinlich nicht, dass das auch der gesamten Bevölkerung so eingängig ist. Hier mehr Aufklärung und Erklärung anzubieten halte ich für eine lohnende Aufgabe.
Der „nicht neutral“-Vorwurf kann in vielfältiger Weise bespielt werden, bis hin zu Einschüchterung oder gar Drohung. Das kann mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger massiv sein. In Österreich haben ORF-Journalisten ja gerade ausgerechnet von ihrem Stiftungsratsvorsitzenden erklärt bekommen, dass ihre Jobs künftig nicht mehr sicher seien, wenn sie nicht „neutraler“ berichten. Wobei sich die geforderte Neutralität ausgerechnet auf die Berichterstattung über ein Land wie Ungarn bezog, in dem die Medienfreiheit massiv eingeschränkt worden ist. Und die Regierung eine satte Zweidrittelmehrheit im Parlament hat, zu der eine Opferrolle schon deshalb sehr schlecht passt.
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„’Besser‘ ist eine Definitionsfrage, die besser nicht Parteipolitikern überlassen wird.“
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Auch war zu hören, man wolle Rundfunkjournalisten dazu erziehen, besser zu werden. Zunächst mal ist „besser“ eine Definitionsfrage, die besser nicht Parteipolitikern überlassen wird. Dafür gibt es entsprechende Gremien, Presseräte, Fernsehräte, die KommAustria und so weiter. Und übrigens auch reichlich Kollegen – gerade dem Rundfunk mangelt es nicht an kritischer Begleitung durch andere Journalisten. Natürlich dürfen sich Politiker beschweren. Sie sind aber nicht Richter oder Pädagogen.
Was Volkserziehung durch Parteivertreter bedeuten kann, lässt sich übrigens in ganz extremer Variante in China betrachten. In der Volksrepublik wird das Volk inzwischen ja nicht nur beobachtet, sondern auch mit einem Punktesystem bewertet. Frau Yi setzt sich für die Partei ein. Herr Li hat die Straße gefegt. Frau Slomka hat genehme Fragen gestellt. 7 Punkte. Herr Wolf hat nett gelächelt. 6 Punkte.
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Wenn man in Interviews so freundlich lächelt, wie Politiker es gerne hätten,
welche Botschaft sendet man dann als Journalist:
„Bin kein Wolf, sondern ein Schaf“?***
Apropos lächeln: Wenn einem Journalisten von einem Politiker lobend attestiert beziehungsweise unterstellt wird, er schaue neuerdings „weniger grimmig“, wie Norbert Steger dies zuletzt bezogen auf Armin Wolf geäußert hat, ist auch das eine subtile Form, Druck auszuüben. Ich fürchte nämlich, dass sich auch ohne diktatorisch verordnete Punktesysteme Journalistenkollegen finden werden, die nun so angestrengt beweisen wollen, wie neutral sie sind, dass sie tatsächlich extrafreundlich gucken und fragen, wenn sie es mit Politikern zu tun haben, die ihrem Berufsstand Parteilichkeit unterstellen. Nur: Welche Botschaft sendet man damit dann als Journalist? „Bin kein Wolf, sondern ein Schaf“? Ich für meinen Teil möchte mir gar keine Gedanken darüber machen müssen, wie ich gucke, wenn ein Politiker mir gegenübersteht, egal welcher Partei er oder sie angehört!
Warum tappen Journalisten in solche Rechtfertigungsfallen, obwohl das Infragestellen eigentlich normaler Bestandteil unseres Berufes sein sollte? Ich glaube, weil die meisten Journalisten nicht voreingenommen sein wollen, geschweige denn Propagandisten. Der Vorwurf trifft sie im Kern. In Publikationen oder Sendern, die den Anspruch haben, überparteilich zu sein, wollen Journalisten recherchieren, Fakten sammeln, Argumente wägen. Ich behaupte sogar: Als Journalist hat man im Laufe seiner Berufsjahre schon so oft ein Thema totrecherchiert oder sich mit so vielen widerstreitenden Argumenten beschäftigt, dass es am Ende schwerfällt, selbst eine eindeutige Meinung zu haben. Mir geht das jedenfalls häufiger so. Man kann bei vielen Sachthemen den Glauben verlieren, wenn man erst einmal in die mühsamen Details einsteigt. Und dass Politik doch sehr viel im Sinne Max Webers mit dem Bohren dicker Bretter zu tun hat, entgeht langjährigen Politik-Beobachtern auch nicht. Auch deshalb glaube ich, dass sich Journalismus jenseits eines ideologisch motivierten Publizismus meist eher schlecht verträgt mit Radikalität oder gar Extremismus.
Für Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verträgt sich Extremismus übrigens auch nicht mit jenen Werten, wie sie etwa im deutschen Rundfunkstaatsvertrag explizit formuliert sind. Wir sind in der Hinsicht nicht wertfrei. Das macht uns aber nicht zur Partei. Es sind allgemeine Werte, die für unsere Gesellschaft nach leidvoller Geschichte vereinbart und festgelegt wurden. Wenn Radikale mir also vorwerfen, „nicht neutral genug“ zu sein, kann ich nur sagen: Ja. Es ist nicht meine Jobdeskription, das parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland stürzen zu wollen oder meine Moderationen mit extremistischen Botschaften zu garnieren, damit auch Anhänger solchen Gedankenguts sich ausreichend repräsentiert fühlen.
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„Wenn mit dem ‚Kanon des Sagbaren‘ aber gemeint ist, gesellschaftliche Gruppen pauschal zu diffamieren, die öffentliche Sprache zu verrohen, unbelegte Behauptungen aufzustellen oder Geschichte zu verdrehen, dann ist es keineswegs journalistische Pflicht, wertneutral lächelnd zu nicken: ‚Danke für Ihr Statement.’“
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Wenn es heißt: „Der Kanon des Sagbaren muss erweitert werden“ – eine der Grundthesen einer Protestpartei wie der deutschen AFD –, dann ist dagegen aus journalistischer Sicht zunächst überhaupt nichts zu haben. Tabus sollten unserem Berufsstand per se suspekt sein. Und es ist guter journalistischer Reflex, sich zu prüfen: Ist da was dran? Haben wir blinde Flecken? Wenn mit dem „Kanon des Sagbaren“ aber gemeint ist, gesellschaftliche Gruppen pauschal zu diffamieren, die öffentliche Sprache zu verrohen, unbelegte Behauptungen aufzustellen oder Geschichte zu verdrehen, dann ist es keineswegs journalistische Pflicht, wertneutral lächelnd zu nicken: „Danke für Ihr Statement.“
Genauso wenig aber sollten Journalisten politische Aktivisten sein. Journalismus ist meiner Ansicht nach nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ich persönlich finde, dass Journalisten zur Parteipolitik Distanz wahren und sich auch sonst von Kampagnen aller Art fernhalten sollten. Ich betrachte es auch nicht als journalistische Qualität, im Bundeskanzleramt oder in einer Landes-Staatskanzlei besonders „wohlgelitten“ zu sein. Und ich möchte junge Journalisten dazu aufrufen, der Versuchung zu widerstehen, sich in Lager und Netzwerke zu begeben. Wenn Sie von politischer Seite gefördert werden, verbinden sich damit zwangsläufig Erwartungen! Da geht es Ihnen dann ähnlich wie Reisejournalisten, die von den Hotels, über die sie berichten, den Aufenthalt bezahlt bekommen.
Der Rundfunk gehört nicht den Parteien: Er gehört den Bürgerinnen und Bürgern
Umso wichtiger ist es, dass ein freier Rundfunk zeigt, dass freie Geister in ihm Karriere machen können. Da ist es nicht hilfreich, wenn Redakteuren, die sich selbst nicht verorten wollen, Parteileute vor die Nase gesetzt werden, die womöglich nicht mal aus dem Journalismus kommen und wenig qualifiziert sind. Oder wenn bei Regierungswechseln prompt auch das Führungspersonal des Rundfunks ausgetauscht wird. Dass Parteien die politische Willensbildung in einem Land erheblich mitorganisieren, ist in einer parlamentarischen Demokratie gewollt. Es ist nichts dagegen zu haben, dass sie in den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertreten sind. Das kann Freiheit auch schützen. Das sollte aber nicht dazu führen, dass Parteien meinen, der Rundfunk gehöre ihnen. Er gehört ihnen nicht. Er gehört den Bürgern!
Parteien und Regierungsapparate, genau wie Konzerne und Verbände, haben ihre eigenen Kommunikations- und Presseabteilungen, die uns Journalisten ohnehin schon als machtvolle, ressourcenstarke Phalanx gegenüberstehen. Sie brauchen über das Bundespresseamt oder die „Control the message“-Abteilung eines Kanzleramts hinaus nicht auch noch den Rundfunk als verlängerten Arm. Das ist nicht im Sinne der Gründungsväter freier Rundfunkanstalten. Wir sind kein Ableger eines Wahrheitsministeriums, dessen Wahrheiten am Kabinettstisch definiert werden. Und jedem Versuch, uns dazu zu machen, sollte widersprochen werden – nicht nur von den Betroffenen.
In einer Reihe europäischer Länder gehen die Drohungen gegen Journalisten inzwischen leider schon erschreckend weit. In Ungarn etwa kursieren von Regierungsseite schwarze Listen, auf denen Journalisten aufgeführt werden, die angeblich Propagandisten sind und „Lügen der Opposition ungefiltert verbreiten“. Besonders im Fokus sind aber ungarische Investigativjournalisten, die über Korruptionsaffären berichten. Schwarze Listen zu erstellen ist vergleichsweise plump. Plump ist es auch, wenn der tschechische Staatspräsident Zeman eine Kalaschnikow-Attrappe präsentiert mit der Aufschrift „für Journalisten“. Es gibt aber ja auch Methoden, die weniger offensichtlich sind. Oder wie unser bolivianischer Kollege sagte: „Inzwischen kaufen Sie uns einfach auf.“
Punkt 3: Money matters.
Damit bin ich beim eingangs formulierten dritten Punkt: Money matters. Auch dazu einige Beispiele: In Ungarn wurde nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den letzten acht Jahren zu einem Verlautbarungsorgan der Regierung umgestaltet, in dem Oppositionspolitiker kaum noch zu Wort kommen. Auch kommerzielle Medien sind massiv unter Druck gekommen. Das Nachrichtenportal der Telekom ist seit seinem Verkauf nicht mehr unabhängig, sondern regierungsnah. Und nachdem der Ringier-Verlag seinen Anteil an der größten ungarischen Tageszeitung verkaufte, wurde diese in der Folge erst über Nacht geschlossen, um später von einem Vertrauten Orbans fortgeführt zu werden. Diesem Medienmogul gehören inzwischen auch die meisten Regionalzeitungen. Publikationen, die noch unabhängig sind, oft aber wenig Reichweite haben, kämpfen mit finanziellen Problemen, weil Privatunternehmer die Sorge haben, dass ihre guten Kontakte zur Regierung leiden, wenn sie in kritischen Medien inserieren. Und diese Medien leiden zugleich inhaltlich, weil sie Schwierigkeiten haben, an Regierungsinformationen heranzukommen oder an Interviews mit Regierungsvertretern, von denen sie konsequent ignoriert werden.
Ein anderes Beispiel, wie finanziell Druck ausgeübt wird, findet sich in Polen. Dort wurde der Nachrichtensender TVN24 wegen seiner Berichte über oppositionelle Protestaktionen mit einer hohen Geldstrafe belegt – eine Rekordstrafe als Warnschuss für alle. In Tschechien wiederum gehören dem milliardenschweren Ministerpräsidenten Babiš die wichtigsten Zeitungen des Landes.
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„Sind das also die Demokratiestandards, für die die EU angeblich steht?
Wann beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof mit dem Zustand der Pressefreiheit in Europa?“***
Das Schlusslicht in der EU auf der Rangliste zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt allerdings Bulgarien, während das Land zugleich im EU-Korruptionsindex einen der führenden Plätze innehält. Zwar gibt es in Bulgarien offiziell keine Zensur, doch Journalisten werden von Politikern öffentlich bedroht, von Unbekannten sogar körperlich attackiert. Ein Beispiel ist der Säureangriff auf eine Investigativjournalistin. Mindestens so auffällig ist die Entwicklung der Eigentumsverhältnisse: Der Großteil der bulgarischen Medien gehört einigen wenigen Unternehmen, die beste Kontakte zur Regierung pflegen. Einer von ihnen, dessen Familie ein gewaltiges Medienimperium kontrolliert, zu dem neben Zeitungen und TV-Sendern auch die größte Druckerei des Landes gehört, sitzt zugleich im Parlament und durfte zwischenzeitig sogar zum Geheimdienstchef aufsteigen. Bulgariens Medien sind darüber hinaus finanziell massiv auf staatliche Anzeigenschaltungen angewiesen, etwa im Zuge von Imagekampagnen der Regierung oder auch für Informationskampagnen über EU-Programme, die wiederum mit Geldern aus Brüssel unterstützt werden. Damit wird durch die Hintertür Druck ausgeübt – unauffällig, aber effizient.
Eine Entwicklung, die während der EU-Mitgliedschaft des Landes ihren Lauf nahm. Sind das also die Demokratiestandards, für die die EU angeblich steht und deren Förderung so oft als Begründung für Beitrittskandidaturen genannt wird? Wann beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof mit dem Zustand der Pressefreiheit in Europa?
Wenn wir weiter über den Atlantik in die USA schauen, fällt auf, wie sich Donald Trump auf Amazon-Eigentümer Jeff Bezos einschießt, dem die Washington Post gehört. Das nüchtern festzustellen heißt nicht, Bezos zu idealisieren. Die Internetplattform Breitbart, die Trumps Wahlkampagne massiv unterstützte, wird finanziert von der befreundeten Milliardärsfamilie Mercer. Trumps Haussender Fox News, den man getrost als „Regierungskanal“ bezeichnen kann, gehört dem Medienmogul Rupert Murdoch, der sich politisch eindeutig verortet. Die ebenfalls Trump wohlgesonnene Sinclair Broadcast Group ist der größte TV-Betreiber in den USA mit mehr als 170 Lokalstationen. Washingtoner Beobachter fragen sich auch, ob es rein ökonomische Motive sind, die hinter den Vorbehalten der Regierung gegen den Merger von AT&T und Time Warner stehen. Time Warner gehört CNN.
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„Mit dem Versprechen, Gebühren beziehungsweise Haushaltsabgaben abzuschaffen
gewinnt man dennoch leicht Sympathien
Wird der Rundfunk jedoch ein Teil des Haushaltsbudgets,
dann bestimmen die jeweils Regierenden, ob es mehr oder weniger sein darf.Die Führungsriege des ORF darf dann jährlich bei Kanzler oder Innenminister antreten und um Geld betteln.
Man kann sich leicht vorstellen, wie frei sich Redakteure dann noch fühlen werden.
Da braucht es dann noch nicht mal Anweisungen.
Da funktioniert die Schere im Kopf von allein. Das ist das Ende der Unabhängigkeit.“***
Kurzum: Geld spielt eine gewaltige Rolle bei der Frage, wie unabhängig Medien sein können. Deshalb spielt es auch eine erhebliche Rolle, wie ein freier Rundfunk finanziert wird. Monat für Monat schwarz auf weiß zu sehen, was das einen persönlich kostet, wird von vielen Bürgern verständlicherweise als unangenehm empfunden. Es ist aber auch eine Form von Transparenz und eine Grundlage öffentlicher Diskussion. Sehr viel transparenter als andere Kultursubventionen in Museen, Opern und so weiter, bei denen der Einzelne seinen persönlichen Beitrag nicht ausrechnen kann. Und transparenter als viele der Verästelungen im privaten Medienbereich, den es im Übrigen für den Konsumenten auch nicht umsonst gibt. Vor allem aber macht es die Besitzverhältnisse klar: Der Rundfunk gehört denen, die zahlen. Also allen.
Mit dem Versprechen, Gebühren beziehungsweise Haushaltsabgaben abzuschaffen, gewinnt man dennoch leicht Sympathien. Aber entweder schafft man dann auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst weitgehend ab oder reduziert ihn auf ein kleines Nischenangebot. Will man ihn hingegen als reichweitenstarken Player in der Medienlandschaft erhalten, dann bleibt er auch ein Kostenfaktor, der von den Bürgern finanziert wird. Nur dass sie das nicht mehr so unmittelbar wahrnehmen, wenn das über das allgemeine Steuersäckel läuft. Wird der Rundfunk jedoch ein Teil des Haushaltsbudgets, dann bestimmen die jeweils Regierenden, ob es mehr oder weniger sein darf. Nach ihren jeweiligen Kriterien. Die Führungsriege des ORF darf dann jährlich bei Kanzler oder Innenminister antreten und um Geld betteln. Man kann sich leicht vorstellen, wie frei sich Redakteure dann noch fühlen werden. Da braucht es dann noch nicht mal Anweisungen. Da funktioniert die Schere im Kopf von allein. Das ist das Ende der Unabhängigkeit.
Wenn nun die schreibende Zunft oder die Kollegen der Privatsender das Gefühl haben, das habe mit ihnen nicht viel zu tun, oder sich gar klammheimlich freuen in Erwartung ökonomischer Vorteile, möchte ich zu bedenken geben: Wenn Regierungen definieren wollen, was neutral ist, werden das auch kommerzielle Medien zu spüren bekommen, und sei es auch nur durch die Hintertür. Und auch kommerzielle Medien würden den Verlust spüren, wenn es nur noch einen Bonsai-ORF gäbe, der für sie dann übrigens auch als Multiplikator nicht mehr taugt. Opportunismus in Sachen Medienfreiheit ist nicht angebracht. Journalisten, die willfährig mitmachen, innerhalb oder außerhalb öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sägen damit letztlich an dem Ast, auf dem sie sitzen.
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„Macht Politik also den Journalismus kaputt?
Ja, Politik kann Medien kaputt machen.
Wobei ich nicht von der Politik sprechen würde, sondern von Politikern und einzelnen Parteien,
die das tun – oder zumindest versuchen –, reihum auf unserem und anderen Kontinenten.“***
Abgesehen davon glaube ich nicht, dass private Sender das Programm der Öffentlich-Rechtlichen ersetzen können. Das funktioniert systemisch nicht. Mit einem Rundfunkprogramm Geld zu verdienen ist etwas anderes, als Geld zu haben, mit dem man ein Rundfunkprogramm macht. In the long run wird sich die Politik fragen müssen, mit welchen Rundfunk-Medien sie dann noch ein wirklich breites, politisch vielfältiges Millionenpublikum erreicht. Die TV-Ableger einzelner Parteien werden keine Straßenfeger, möchte ich prognostizieren. Interviews, bei denen Mikrofonständer abgesprochene Fragen servieren, sind selbst Parteigängern irgendwann fad. Sender wie Fox TV in den USA erreichen nur die Überzeugten. Die andere Hälfte hasst diesen Propaganda-Kanal und nimmt deren Journalisten nicht ernst. Unsere Zuschauer hingegen sind noch sehr vielfältig in ihren Ansichten und Weltbildern. ORF wie ARD und ZDF erreichen nach wie vor mit Informationsprogrammen eine sehr breite Bürgerschaft, was übrigens den Erfolg jener nicht behindert hat, die Öffentlich-Rechtliche abschaffen oder erziehen wollen oder als „Hort von Lug und Trug“ diskreditieren.
Bewährte, jahrzehntealte Institutionen wie den ORF zu attackieren ist nicht konservativ, sondern destruktiv. Und es ist auch nicht liberal, jede Form öffentlicher Daseinsfürsorge zu privatisieren in blindem Glauben an die Segnungen kommerzieller Märkte. Ich persönlich hoffe, dass sich gegen solche Bestrebungen eine Mehrheit der Bevölkerung wehren wird. In der Schweiz hat ja gerade erst eine breite und den politischen Wahlergebnissen nach eher konservativ gesinnte Bevölkerungsmehrheit verhindert, dass ihr der Rundfunk weggenommen wird.
Macht Politik also den Journalismus kaputt? Ja, Politik kann Medien kaputt machen. Wobei ich nicht von der Politik sprechen würde, sondern von Politikern und einzelnen Parteien, die das tun – oder zumindest versuchen –, reihum auf unserem und anderen Kontinenten. Für Europa wie Amerika empfinde ich das als eine wirklich besorgniserregende Entwicklung. Wir sollten uns daran erinnern, dass die große Attraktivität und der Erfolg der sogenannten „freien Welt“ jahrzehntelang genau darin bestand und heute noch besteht: in ihren hohen Freiheitsgraden. Das ist eine Stärke, die es zu verteidigen gilt.
Nun ist es eine Sache, Journalisten – ob von öffentlich-rechtlichen oder privaten Medien – mangelnde Neutralität vorzuwerfen. Darüber lässt sich diskutieren, und das von journalistischer Seite übrigens bitte auch selbstkritisch. Noch mal eine ganz andere Qualität hat es jedoch, wenn Journalisten als „Volksfeinde“ bezeichnet werden beziehungsweise als „Enemies of the people“. Wer das tut, glaubt an einen Volonté générale, an einen allgemeinen Volkswillen, statt an einen Wettbewerb der Meinungen und Weltanschauungen auf der Grundlage eines gemeinsamen Gesellschaftsvertrags. Wer Journalisten als „Volksfeinde“ diffamiert, glaubt, eine höhere Form von Legitimität zu haben als nur Wählerstimmen. Wer eine solche Formulierung benutzt, geht offenkundig davon aus, dass er selbst das Volk beziehungsweise einen „allgemeinen Volkswillen“ verkörpert. Sodass diejenigen, die ihn kritisieren oder gar seine Machtausübung einschränken, nicht seine Gegner oder seine Kritiker sind, sondern Feinde des gesamten Volkes. Wer so denkt, kann kraftvolle Opposition nicht akzeptieren. Wer so denkt, will auch kritischen Journalismus kaputt machen.
Journalisten als „Feinde des Volkes“ oder gar „Volksverräter“ zu bezeichnen – das hat Diktatorentradition seit Stalin und Hitler. Deshalb sollten solche Begrifflichkeiten auch jene irritieren, die sich in den angeblichen Mainstream-Medien nicht ausreichend vertreten fühlen. Die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk loswerden wollen. Die generell das Gefühl haben, es müsse sich ganz grundsätzlich etwas ändern in ihrem Land. Die Wut und Frust in sich tragen oder einfach nur große Angst. Noch größere Angst sollten sie aber bekommen, wenn von „Volksfeinden“ die Rede ist. In einem System, das Kritiker so ächtet, könnte auch ihre eigene Freiheit, Wut oder Angst zu formulieren, alsbald beschränkt werden.
Dies festzustellen heißt aber auch, die Frage an uns selbst zurückzuspielen: Warum können Bestrebungen, Medienfreiheit zu begrenzen, überhaupt erfolgreich sein? Und warum sind diese Bestrebungen in letzter Zeit stärker geworden? Warum hieß der Titel der Keynote auf den Österreichischen Journalismustagen vor fünf Jahren noch: „Machen Medien die Politik kaputt?“, während jetzt die Frage genau umgekehrt gestellt ist? Natürlich hat das mit Veränderungen in der politischen Großwetterlage zu tun und mit den Veränderungen durch digitale Kommunikationsstrukturen. Aber auch mit uns Medienvertretern selbst. Meine These: Wir müssen unsere Arbeit und unsere Rolle besser erklären. Wir müssen deutlicher zeigen, dass wir Vertreter der Bürger gegenüber der Politik sind. Dass wir Erklärer sind, gerade auch bei komplizierten Themen. Und zugleich Kritiker, die Finger in Wunden legen – in alle Richtungen.
Glaubwürdig sein können Journalisten dabei nur, wenn sie sich von der Politik klar abgrenzen. Das gilt für Sender und Verlage insgesamt, aber auch für jeden Einzelnen von uns.
Vielen Dank.
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Marietta Slomka ist seit 2001 eine der beiden Hauptmoderatoren des ZDF heute journals. Die Diplom-Volkswirtin studierte in Köln und Großbritannien Volkswirtschaft und Politik. Nach einem Volontariat bei der Deutschen Welle arbeitete sie als politische Korrespondentin in Brüssel, Bonn und Berlin. Im Januar 2001 übernahm sie die Moderation des heute journals.
Daneben ist sie für das ZDF weiterhin auch als Reporterin im Einsatz. Ihre Reportagen führten sie u.a. nach Osteuropa, China, Afrika und Südamerika. Zu den Bundestagswahlen 2013 und 2017 zeigte das ZDF mit Marietta Slomka das Doku- und Talkformat „Wie geht’s, Deutschland?“
Marietta Slomka ist außerdem Autorin mehrerer politischer Sachbücher. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie u.a. mit dem Grimme-Preis, dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, dem Deutschen Fernsehpreis und dem Medienpreis für Sprachkultur der Gesellschaft für Deutsche Sprache ausgezeichnet.
Am 6. Juni 2018 hielt sie die Keynote bei den „Österreichischen Journalismustagen“ im Radiokulturhaus Wien.
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